Warum ich zum ersten Mal so wählen werde

Wir werden Olaf Scholz vermissen. Und wie. Wir werden ausgerechnet ihn vermissen, den Kanzler mit Merkels Charakter aber ohne Merkels Charisma, denjenigen, der sich mit Merz unterhält und darum wetteifert, wer gemeiner zu den Menschen ist, die vertrieben werden sollten. Derjenige, der sich als Mitte-Links-Kanzler wie ein Führer zweiter Reihe der konservativen Opposition verhält. Ich bin Sozialdemokrat. Seitdem ich in Deutschland lebe, habe ich immer SPD gewählt. Als 2006 in Kreuzberg der ewige CDU-Kandidat Kurt Wansner an meine Tür klopfte, sagte ich ihm in meinem broken Deutsch: Nein danke, ich bin SPD-Wähler. Damals, als frisch zugezogener Europäer, konnte ich nur für den Bezirk stimmen. Und das tat ich auch.

Scholz war zufällig Kanzler, gewählt im Jahre 2021 anhand eines winzigen Vorsprungs, der eine Woche später, wenn man den Trend in den Umfragen betrachtet, verschwunden wäre. Gewählt vor allem dank der Fehler der anderen, von Laschet ebenso wie von Baerbock, die einen tragfähigen Konsens verspielte, indem sie vergaß, Wahlkampf zu machen. Scholz ist ein Helmut Schmidt, der es nicht schafft. An der Spitze einer schwierigen und zerstrittenen Koalition, die von Anfang an durch die FDP sabotiert wurde, hat er versucht, mit “Besonnenheit” und Angela Merkels Stumpfsinn zu regieren.

Wie immer hat die realpolitische und ewigregierende SPD etwas erziehlt, wie das Selbstbestimmungsgesetz oder die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Wie zu Schröders Zeiten synchronisierten sich SPD und Grüne im Namen einer kriegerischen Politik – in diesem Fall gerechtfertigt durch den russischen Angriffskrieg – aber die 2022 versprochene Zeitenwende blieb, abgesehen davon, dass sie viele pazifistische Gefühle verletzte, ein toter Buchstabe. Eine Lose-Lose-Strategie im großen Stil. Und in der Außenpolitik hat der Mangel an Mut und politischer Phantasie im Umgang mit dem palästinensischen Drama die schlimmsten Klischees über ein Deutschland bestätigt, das zwar bewaffnet ist, aber Scheuklappen trägt. Die blinde Pflicht, Israel zu unterstützen, hat die Notwendigkeit ausgeblendet, die Regierung Netanjahu scharf zu tadeln.

Die Ampel wird keine guten Erinnerungen hinterlassen. Das Unglück, schwierige Zeiten bewältigen zu müssen, wurde durch die Unfähigkeit, klug und effizient zu handeln, noch verschlimmert. Eine streitsüchtige, kommunikativ tollpatschige Regierung, mit einer unverzeihlichen Sünde, ja ich wiederhole es: Mangel an Phantasie. Scholz hat immer so getan, als wäre er Merkel, allerdings ohne Merkels Granitmehrheit. Vielleicht wäre eine Ablösung durch die CDU-CSU ohnehin nicht zu vermeiden gewesen, aber es hätte verhindert werden können, dass das Thema “Migration” so wichtig wird, was der CDU und der NNP (Neonazipartei, hier gewollt nicht beim offiziellen Namen erwähnt) direkt in die Hände spielt. Ein irreführendes Narrativ ist entstanden, das letztlich den in Deutschland endemischen Rassismus nährt und hetzt. Ein Rassismus, der nun endgültig aus der Kanalisation aufgetaucht (meglio in italiano: uscito dalle fogne) und “salonfähig” geworden ist. Schuld daran ist nicht nur Scholz, wobei sein absurdes Spiegel-Cover unverzeihlich bleibt.

Der Tagesspiegel online schlägt täglich hypothetische Koalitionen auf der Grundlage von Umfragen vor. Die Mathematik zeigt, dass nach dem 23. Februar nur zwei Regierungen möglich sind: entweder CDU und NNP, oder CDU und SPD. Jegliche Hypothese, welche die Grünen einbezieht, ist höchst unwahrscheinlich. Die wahre Brandmauer der Union betrifft die Umweltpolitik. Was tun?

Die SPD braucht dringend eine Erneuerungsphase, die nur in der Opposition vollzogen werden kann. Der ehemalige Generalsekretär Kevin Kühnert ist vor einigen Monaten zurückgetreten und hat eine klaffende Lücke hinterlassen. Scholz, der auf einer erneuten Kandidatur tierisch beharrt hat, wird verlieren und verschwinden. Der Koalitionsvertrag mit Merz’ recht-rechter CDU wird von jemand anderem unterzeichnet werden. Das Risiko, dass die SPD als Juniorpartner ausgenutzt wird und die NNP in der Opposition weiter wächst, ist groß.

Die andere Option ist eine reaktionäre, fremdenfeindliche Regierung mit der NNP. Am 29. Januar war es schon sonnenklar, dass die Brandmauer Schnee von gestern ist. Der Entschließungsantrag zur Zustrombegrenzung – ein Euphemismus zum kotzen – wurde mit den gemeinsamen Stimmen von Union, NNP und FDP sowie der Enthaltung der BSW angenommen. Sahra Wagenknechts Stimmerklärung gilt jedoch als grundsätzliche Zustimmung zur Idee dichter Grenzen und Massenabschiebungen. Nur SPD, Grüne und Linke stimmten dagegen ab. Eine Beschleunigung zum Abgrund mit der NNP in der Regierung ist eine reale Möglichkeit. Weidel würde Merz in wenigen Stunden überholen, so wie es Salvini 2018 mit Conte tat.

Am 23. Februar kann ich als Sozialdemokrat nicht für eine SPD wählen, die Gefahr läuft, mit Merz gemeinsame Sache machen zu müssen. Also bleiben die Grünen oder die Linke. Ich habe das Glück, in Friedrichshain-Kreuzberg zu wohnen, und in meinem traditionell grünen Wahlkreis liegen die beiden Direktkandidaten Kopf an Kopf. Zum ersten Mal, seit ich in Deutschland bin, habe ich mich entschieden, die Linke zu wählen. Eine Partei, die ich immer für ihr naives (wunderschönes, aber naives) Programm und ihre Koalitionsfähigkeit auf Bundesebene kritisiert habe.

Meine “Blase” ist gespalten zwischen dem eher intellektuellen und integrierten Team Habeck und dem emotionalen Schwung für die Linke von Reichinnek und van Aken. Die Hunderttausenden von Antifaschist*innen, die in den letzten Wochen auf die Straße gegangen sind, verkörpern eine legitime Reaktion auf das, was am 29. Januar passiert ist. Die Linke, die fast Geschichte war und vor vier Jahren dank dreier Direktmandate in den Bundestag einzog, ist dabei, wieder aufzuerstehen, weil Deutschland ganz einfach eine faschistische Wende droht.

Ich werde zweimal für die Linke wählen, und zwar aus zwei Gründen, die dann nur einer sind. Der erste ist, dass ihre misoukrainische Position gemildert wurde, seit es die BSW gibt. Zum anderen besteht eine konkrete Chance, die Linke durch die Vordertür wieder in den Bundestag zu bekommen und das populistische, fremdenfeindliche, russenabhängige, zynische und intellektuell unehrliche Projekt von Oskar Lafontaine (ja, der ehemalige sozialdemokratische Kanzlerkandidat, der die Linke ausdachte) zu beseitigen. Dies ist offensichtlich ein Lotto. Die Linke setzt alles auf drei starke Kandidaten, die “Silberlocken, die rocken“, nämlich Gysi, Bartsch und Ramelow, aber die Umfragen geben ihr schon über 5%.

Entstanden, um die Linke zu zerstören, riskiert das BSW einen kolossalen Bumerang. FDP und BSW ausserhalb des Parlaments zu lassen wäre ein Traum. Allerdings würde ein Bundestag mit fünf Parteien, darunter die NNP als zweitstärkste Kraft, eine sehr gefährliche Konsensdynamik mit sich bringen. Solange Deutschland in der Rezession steckt, also ärmer und frustrierter ist, wird es schwierig sein, die NNP politisch zu besiegen. Aber die Menschen, die bereit sind, auf die Barrikaden zu gehen, sind da. So sicher wie die Tatsache, dass der nächste Bundeskanzler ein Arschloch sein wird.

Plakate von “Die Partei”. Nein, ich werde “Die Partei” nicht wählen.